Behinderung, Gedanken

lügen

Wenn ich es gründlich überlege, dann komme ich manchmal dazu mir eingestehen zu müssen, dass ich mir selbst in die Täsch lüge. So sehr möchte ich glauben, dass genug Helfer*innen da sind. Es ist oft jemand da, aber manchmal möchten die Junioren etwas anderes machen – etwas, was nicht in drei Stunden passt. Ins Museum gehen, in ein Museum, das ein bisschen mehr erfordert, als nur Bilder angucken. Einen Ausflug machen, der nicht nur ein Spaziergang ist, der mich ein bisschen herausfordert und die Junioren auch. Immer zum gleichen See – das kann ich mit den Rollstühlen auch alleine. Ich möchte für die Junioren Helfer, die nicht nur Kleinkinderbilderbücher vorlesen und MenschÄrgereDichNicht spielen. Der Kerle braucht einen Mann an seiner Seite, jemanden mit dem er sich reiben kann! Wir brauchen Menschen, die mit uns essen und die Essenssituation aushalten. Wo ich nicht, um des lieben Friedens Willen meine Tochter in ihrem Zimmer essen lasse und dem Sohn zugestehe, mal wieder nichts zu essen.

Kompromisse machen, ist gut und schön. Sich dabei selbst zu verbiegen kontraproduktiv und macht auf die Dauer unglücklich. Doch wo bekomme ich diese Menschen her, die wir dringend brauchen? Zupackende, selbstständig denkende, fragende, emphatische, freundschaftliche, reflektierende, kritische Menschen! Es gibt sie ja – nur eben nicht dann, wenn wir sie brauchen! Bin ich jetzt zu wählerisch und anspruchsvoll?

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨ Hier gibt es die Möglichkeit etwas in den, wenn auch nur virtuellen Hut zu werfen. Herzlichen Dank!

7 Gedanken zu „lügen“

  1. Georg sagt:

    Zu wählerisch und zu anspruchsvoll? Ja, bist du und bleib bitte auch so! Deine Ansprüche sind gerechtfertigt.
    Ich müsste mit meiner Behinderung auch jedem hinterherlaufen, der meinen Weg kreuzt und um Gesellschaft betteln.
    Neee, mache ich nicht. Ich würde mich erst verkaufen und dann verblöden. So ist der Stachel der Einsamkeit auch eine Erinnerung an den eigenen Wert.

    1. piri sagt:

      Der Stachel der Einsamkeit bohrt sich hier auch ins Fleisch – es sind ja kaum Helfer da und einsam sein, kann man auch in Gesellschaft, wenn die Ansprache und der Austausch fehlt! Aber vermutlich jammere ich wieder einmal auf hohem Niveau.

  2. Gerel sagt:

    Der Georg hat recht, ich stimme ihm vollkommen zu und bedauere wieder einmal, so weit weg von euch zu leben! – Liebe Grüße Gerel

    1. piri sagt:

      „Einsamkeit kommt nicht davon, keine Menschen um sich herum zu haben, sondern davon, unfähig zu sein, die Dinge zu äußern, die einem wichtig sind oder seine eigenen Standpunkte zu vertreten, die andere als unzulässig finden“, schreibt Carl Gustav Jung. 

  3. isa sagt:

    Ja, es ist derzeit fast unmöglich Helfer zu finden, egal ob Arbeitgebermodell, Pflegedienste oder häusliche Pflege. Und sie bleiben auch oft nicht lange genug, um zu lernen und zu verstehen, wie man gern leben möchte und was man deshalb von ihnen erwartet, welche Unterstützung man wünscht. Wählerisch bin ich auch. Nur habe ich meist keine Wahl, als immer wieder neue, auch unbeholfene Leute anzulernen und mich am Ende mit einer Minimalpflege zufrieden zu geben. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bleibt dabei fast immer auf der Strecke. Es geht vielen Betroffenen so, und der extreme Helfermangel ist mega frustrierend. Woran er wohl liegt? Es hat viele Gründe… Ich drücke euch ganz doll die Daumen, dass ihr doch noch zupackende, selbstständig denkende, fragende, emphatische, freundschaftliche, reflektierende, kritische Menschen findet – oder wenigstens mal einen davon 🙂

    1. piri sagt:

      Wenn ich deinen Kommentar lese, dann jammere ich auf hohem Niveau. (Nicht falsch lesen, ich bin ganz demütig und sehe deine Lage viel bedrohlicher, als unsere.) Denn ich kann die Junioren gut allein versorgen. Helfer*innen sind nur fürs iTüpfelchen und die Freizeit gedacht. Bei dir ist das schon noch eine Runde heftiger. Für mich brauche ich jemanden – ich bin schon manchmal sehr einsam.

      1. isa sagt:

        Dass dich deine Probleme in eine besondere Situation drängen, die dir immer wieder das Gefühl geben sehr allein gelassen zu sein, ist schlimm. Solche Gefühle sind schwer auszuhalten.
        Meine Lage ist nicht schlechter oder besser als eure und auch nur an einzelnen Punkten zu vergleichen. Wie die extrem schwierige Assistenzsuche eben. Btw, ich jammere hin und wieder schon auch auf hohem Niveau, je nach dem, wie viel Frust sich aufstaut. Und dieses iTüpfelchen, das du erwähnt hast, ist immens wichtig. Denn ohne Teilhabe, ohne Freizeitgestaltung, wird man sehr schnell vom Leben und von menschlichen Kontakten abgehängt.

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