Behinderung, Gedanken, Kuddelmuddel

von der undankbaren Dankbarkeit

Eben hatte ich so wunderschöne Worte im Ohr und wollte etwas von der undankbaren Dankbarkeit erzählen. Aber nun hab ich die Worte nicht im Kopf, denn dankbar bin ich schon für die Menschen, die auf mich zukommen, die uns helfen, die da sind. Aber manche wollen uns einfach nur etwas überstülpen was ich gar nicht will. Sie wollen mir etwas geben, wovon sie denken, dass es gut für uns ist, beziehungsweise gut für mich ist. Ohne zu hinterfragen, ob ich das überhaupt will. Sie gehen von sich aus. Aber geht nicht jeder von sich selber aus! Geht es nicht anders, als nur von sich selbst auszugehen? – und dann soll man auch noch dankbar dafür sein, dass manche nur das geben können, was sie auch wissen, dass sie geben können.

Wenn ich das morgen früh lese, werde ich wahrscheinlich denken. Was hat sie denn da heute Nacht wieder gedacht?

Sei froh, dass du überhaupt Hilfe hast. Es könnte ja auch keiner kommen und dann stehst du da mit deiner Dankbarkeit, die du nicht anbringen kannst. Da kann dir deine Undankbarkeit gestohlen bleiben.

Wenn ich selber nicht weiß, was ich will, dann kann ich auch nicht um Hilfe bitten. Aber wenn mir gesagt wird, dass ich keine Erwartungshaltung haben darf, darf ich dann auch keine Wünsche haben? Ist das nicht was anderes? Ich erwarte doch von niemanden, dass er mir hilft. Ich erhoffe es doch bloß.

Unterdessen versuche ich täglich, meine Krone zu richten. Verbiege mich für andere, damit es denen gut geht. „Mach doch mal was für dich.“ Inzwischen weiß ich ja schon gar nicht mehr, was ich für mich machen soll. Mein schlechtes Gewissen bringt mich um. Bei mir dreht sich immer alles im Kreis. ich würde gerne einmal essen gehen – richtig fein. Oder einmal ins Hotel, mich morgens an den Tisch setzen, ohne vorher meine Kinder anzuziehen und ohne darauf zu achten, dass sie versorgt sind. Einfach nur ich sein. Ausschlafen, ohne daran zu denken, dass das Bett ja nass sein könnte oder dass sie Hunger haben oder Durst.

Es ist 00:30 Uhr in der Nacht und ich denke schon daran, dass ich morgen früh aufstehen muss und ich ausgeschlafen bin und doch wieder meinen Tag vertrödelt hab, die Nacht sowieso. Ich würde mich gerne mal betrinken aber das muss ich büßen. Und betrinken macht alleine auch keinen Spaß. Singen, lachen ausgelassen sein. Wann war ich das das letzte Mal? War ich das überhaupt jemals? Bin immer viel zu ernst. Spiele meine Rolle. Baue potemkinsche Dörfer, nach außen schön, eine vollkommene Fassade. Nur keine Blöße geben. Ich steh mir selbst im Weg. Ich lüge mich selbst an. Ich bin nicht ehrlich und doch schonungslos, weil ich es weiß.

Ich bin keine schlechte Analytikerin, nur helfen tut es mir nichts, weil ich keinen Umkehrschluss daraus ziehen kann. Lösungen müssen her, nicht nur denken! Man kann vieles zerdenken. Taten sprechen mehr, als Gedanken.

Unerbittlich rattern die Gedanken. Inzwischen ist die Dankbarkeit abhanden gekommen.

Man müsse sich ans Dankbarsein gewöhnen sollen. Klein beigeben. Still, sattsam und bescheiden sein. Sich dabei aber selbst nicht aufgeben. Nicht weinen, nicht traurig sein, oder gar aufbegehren, sonst heißt es gleich wieder: die kriegt den Hals nicht voll.

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10:55Uhr – Gehört vielleicht gar nicht hier her, ich möchte es aber dennoch verlinken: Raúl Krauthausen – Ein Appell gegen Grabenkämpfe

Alltag, Behinderung, Gedanken

mach was

Alleine kann ich mit den Junioren, gerade jetzt im Winter, nicht spazieren gehen. Aber auch mein Hilferuf deswegen verpufft genauso wie die allgemeine Suchanfrage – hier und auf WhatsApp. Stattdessen bekomme ich gesagt: „Mach was! Kümmere dich!“ Ich weiß nicht, was ich noch machen soll?

Bin ich so ein Biest, wenn ich nicht alles hinnehme, wenn ich keine Ratschläge möchte, dafür lieber Hilfe und Verständnis und eine möglichst rasche Auffassungsgabe, damit ich nicht alles fünf oder sechsmal erklären muss, wie die Junioren behandelt – das ist nicht das richtige Wort, denn behandelt werden brauchen sie gar nicht, sie sollen nur so genommen werden, wie sie sind, mit allen Macken. Sie haben nicht umsonst den Behindertenstatus! – also ich möchte nicht immer und immer wieder um Verständnis um unsere Situation werben. Es wird sie doch geben, die Menschen, die zu uns passen! Ich bin bereit Kompromisse zu machen, aber aufgeben mag ich mich nicht. Ich möchte nicht nur Sprüche hören. Ich wünschte mir, dass jemand auch was tut!

P.S.: das schreibe ich mit Tränen in den Augen.

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07:46Uhr – Nachtrag: Wisst ihr, was mich traurig macht? Wir sind da kein Einzelfall, es geht so vielen anderen Familien mit behinderten Angehörigen ähnlich oder genau so!

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Noch ein Nachtrag um 10:51Uhr und ein verzagtes Ende: Was erwarte ich eigentlich vom Blog? Auch hier ein bisschen Verständnis und ab und zu etwas Resonanz – aber wahrscheinlich überfordere ich damit die meisten Leser*innen. Aber so ist nun mal meine Realität.

Behinderung, Gedanken

Adventszeit mit Musik

Da saß ich nun am Rand, weil die Rollstühle ja im Gang stehen müssen. Keinen Stuhl konnte man rausnehmen aus der Reihe und schon sind sie wieder außerhalb der Reihe (getanzt). Wenn sie denn wenigstens tanzen hätten können? Natürlich standen sie im Weg, als die Kinder langsam einzogen. 

Ich wollte nicht dorthin. Ich wollte nicht schon wieder ein Musical sehen, das zwar mit Herzblut vorbereitet und mit viel Enthusiasmus und Liebe aufgeführt wurde, aber jedes Jahr irgendwie immer dasselbe ist. Ich wollte nicht schon wieder in eine dunkle Kirche, zu fremden Leuten mit einer mürrischen Helferin. Sie ist schon zu uns gekommen und klagte an, dass ihr der Magen weh tut, ihre Hüfte schmerzt und es ihr nicht gut geht. Ihretwegen haben wir uns aufgemacht, ein bisschen auch den Junioren zuliebe, denn sie mögen gerne raus und Musik ist sowieso eine Leidenschaft von ihnen. 

So sitze ich also im Mittelgang. Am Morgen hatte ich ein langes gutes Telefongespräch mit einer unbekannten Frau – ich habe vor ihr einen Teil meines Herzens ausgeschüttet, habe erzählt, dass ich gesehen werden möchte und nicht nur Mittel zum Zweck sein will. Nicht nur Mutter und Pflegerin, möchte als Person wahrgenommen werden, auch von langjährigen Helferinnen. Ich möchte auch einmal gesagt bekommen, dass ich gut aussehe und auch gefragt werden, ob es mir gut geht. Meine Gedanken in der dunklen Kirche schweifen ab. Ich schaue mich um und sehe einzelne Menschen sitzen. Manche gucken erwartungsvoll. Einige sind vermutlich nur da, um nicht alleine Daheim zu sitzen. Mein Blick fällt auf die Helferin, ihr Blick ist leer, auch sie ist einsam. Ich mag sie. Ich mag nur nicht ihre bestimmende Art und dass sie, wenn ihr etwas nicht passt, unsere Vorhaben boykottiert. Sie ist eine treue Seele, das weiß sie auch und nutzt das schamlos aus. Ihre Argumentation ist nachvollziehbar und genau deswegen ist es für mich so schwer – sie ist alt, alleine, hat gesundheitliche Probleme. macht sie sich auch, weil sie zu genau in ihren Körper hineinhorcht. Wenn ein neues Stichwort fällt, dann hat sie das auch oder hatte es zumindest schon mal so oder so ähnlich!

Ich schaue weiter. Zwei Bänke vor mir sitzt eine gut gekleidete Frau, etwas jünger als ich, sehr zusammengesunken und still. Neben ihr eine junge Frau mit Kind. Mein Gedankenkarussell fängt an zu rattern – stopp, es geht mich nichts an – aber ist sie vielleicht dennoch einsam? Wie vielen Personen im Gotteshaus mag es so gehen wie mir? Wenn man doch nur diese Menschen zusammenbringen könnte? Wenn man doch nur signalisieren könnte, dass man Begegnungen möchte? Wenn doch nur Menschen, die sich nicht trauen eine Plattform hätten, die ebensolche Menschen miteinander verbindet? Wenn doch nur… Gibt es so etwas? Hier, im Umkreis, ist mir so etwas nicht bekannt. Hier suche nicht nur ich Begleiter*innen und finde sie nicht. Ich suche auch Begleiterinnen für mich, die möglicherweise Freundinnen werden könnten. Eventuell waren gestern tatsächlich diese Frauen im selben Raum, nur entdeckt haben wir uns nicht. Schade!