Familie, Gedanken

Verletzung, Kränkung und Wut

Kindheitserinnerungen – lange Zeit habe ich sie mit mir herumgeschleppt, tue es immer noch und reagiere des Öfteren auf eine heutige Situation mit dem Gefühl auf damalige, auf eine Begebenheit, die ich als Kind erlebt habe. Und wenn man dann nicht gewohnt ist, sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen, dann denkt man, das sei ein wichtiger Bestandteil seines selbst: ich bin jetzt verletzt oder: ich bin jetzt wütend. Das wird stimmen, allerdings hat das heutige Gegenüber damit nichts zu tun. Mir passiert das viel zu oft, dass ich Vergangenheit und Gegenwart mische.

Verletzungen, die wir ein Leben lang mit uns herumschleppen, verletzen vor allem uns – nicht die Person, die sie uns angetan haben. Sie weiß manchmal gar nicht (mehr) ob sie uns verletzt hat.

Verzeihen ist mein Zauberwort. Aber wenn die Wunden so tief gehen und je tiefer die Wunden gehen, umso schwerer wird verzeihen. Meine Mutter war empathielos und hat mich nie in den Arm genommen. Ich hatte immer das Gefühl; ich bin nichts wert, werde nicht gesehen. Daher, das weiß ich sehr genau, stammt mein großer Wunsch wahrgenommen, gesehen und anerkannt zu werden. Als Jugendliche habe ich deswegen oft Dinge gemacht, die nicht unbedingt schön waren. Nur um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich war dann die Außenseiterin – wurde gesehen – aber die Anerkennung hatte ich trotzdem nicht.

Jetzt im Nachhinein weiß ich, dass meine Mutter damals nicht anders reagieren konnte, als sie reagiert hat. Sie hatte sechs Kinder, kam selbst aus einer kinderreichen Familie und hatte damit zu tun, uns zu versorgen. Außerdem wollte sie selber endlich ihr eigenes Schneideratelier aufmachen. Das hat sie auch dann getan als wir ins neue Haus zogen. Ich habe es ihr übel genommen, denn meine Kindheit war mit einem Schlag vorbei. Meine jüngste Schwester ist zehneinhalb Jahre jünger als ich und ich durfte von dort an auf sie aufpassen.

Als ich darüber nachdachte, meiner Mutter vergeben zu wollen – verzeihen zu wollen – sah ich mich einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt. Traurigkeit, Wut, Empörung und auch Sehnsucht nach Rache, aber ich wollte meiner Mutter verzeihen, weil ich ihr Zuneigung gegenüber spürte. Leider habe ich das zu ihrem Lebzeiten nicht mehr geschafft. Viel zu viel war zwischen uns geschehen. Gelernt habe ich, dass Verzeihen spannend ist, weil es einen Veränderungsprozess in Gang setzt. Meine Mutter hat mir etwas Schlechtes angetan, aber mit der Zeit kann ich es anders sehen. Es geht um ein Umschreiben der Geschichte meiner Mutter. Ihre Geschichte ist nicht meine Geschichte, durch unsere Lebensgeschichten sind wir in einer Weise eine Zeitlang eins. Es war eine schwierige Geschichte, sehr schmerzhaft und sie gehört zu mir, aber es war!

Verzeihen ist Knochenarbeit, seelische Arbeit und erfordert ein Einfühlen in die Person, der man verzeihen möchte. Ich musste verstehen lernen, warum meine Mutter so und nicht anders gehandelt hat, handeln konnte. Erst nachdem ich viele Bücher über Kriegsgenerationen gelesen habe, konnte ich handeln, verstehen. Nachvollziehen konnte ich meiner Mutter Verhalten nie. Verständnis hatte ich auch nie dafür. Vergeben kann ich ihr auch nicht, aber wenigstens verzeihen.

Ich hoffe immer sehr, meine Kinder können mir das auch verzeihen, das, was ich gemacht habe. Ich werde mich bemühen, meine Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und nichts mehr oder nur wenig davon mit in die Gegenwart zu nehmen. Angeregt zu diesem Beitrag hat mich C*mit ihrem Blog Lebenslinien – Danke dafür!

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Kuddelmuddelgedankenchaos – einfach so ins Eingabefeld getippt und sicherlich nicht wissenschaftlich fundiert.

Alltag, Behinderung, Familie, Gedicht

Wahnsinn

Wahnsinn ist oft die Logik eines sehr akuraten Geistes, der überlastet ist.
| Oliver Wendell Holmes

Der abnehmende Mond scheint ins Zimmer, aber es ist nicht mehr dunkel. Ich habe geschlafen bis um halb acht. War bitter nötig, denn die Nacht davor war hellbettschwermüdewach. Und dann der Tag, gestern, mit der Nominierung! Der dazugehörige Beitrag bleibt noch bis Dienstag oben stehen und dann geht’s normal weiter. Vielleicht nicht ganz, denn die Junioren bekommen wieder ihre Namen dazu.

Es herrscht eine beängstigende Stille. Der Kerle schläft wie ein Stein und Wiebke singt auch nicht. Nur von Zeit zu Zeit rauscht ein Auto vorbei – mir ist unheimlich zumute. Gedanken können rattern und mein Blick schweift aus dem Fenster. Ziemlich wüst sieht es aus, unaufgeräumt und grau mit weißen Tupfen. Diese aber nicht von Schnee, sondern es sind Knospen von Gänseblümchen. Zu kurz, um sie in die Vase zu stellen…

Warum mache ich das eigentlich alles hier? Könnte ich nicht auch mein Buch nehmen und die schöne Kuscheldecke, oder den nächsten Zug nach Nirgendwo? An die Ostsee oder Timbuktu? Carsten würde jetzt sofort mitfahren wollen. Wir hatten gestern Nachmittag kurz Besuch. Eine sehr junge Frau erzählte von ihrer Au Pair-Zeit in USA, der Kerle wollte alles wissen und natürlich alles sehen: „Da fahren wir auch hin!“ Wie gerne würde ich das tun. Aber, erstens ist das mit einem Rolli schon eine Herausforderung und zweitens fehlt mir dazu das nötige Geld, ganz abgesehen davon, dass wir dann immer noch keine Begleitung haben. Wir kommen ja noch nicht einmal in die Weinberge, die hinterm Haus beginnen.

Das Töchting singt Kauderwelschlieder, wie immer und mag auch nicht aufstehen. Ganz krumm liegt sie und guckt Schlümpfe (Comik-Geschichten) an. Ich trinke meine Tasse leer, zieh die Aufbaunahrung auf, geht ins Kerlezimmer und bekomme wahrscheinlich gleich ein mürrisches Knurren. Aber verhungern lassen werde ich ihn nicht – wenigstens kotz Carsten grad nicht!

Kuddelmuddelgedankenchaos

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Alltag, Behinderung, Familie, Gedanken

Du Mama

Nachdem wir ein StarWars-Raumschiff zusammengebaut und eine Geschichte zum drölfundachzigsten Mal vorgelesen haben, der Kerle sich geweigert hat zu essen und das Töchting wieder einmal kaum aus ihrer Kemenate herausgekommen ist – nachdem und noch viel mehr seltsamen Dingen, fragt der Kerle: „Du Mama, warum sind eigentlich komische Menschen nur mit komischen Menschen befreundet? Es wäre doch gut, wenn wenigsten einige normal wären.“ „Wenigstens (mit akzentuierter Betonung)“, so sagt das Töchting, „sind wir wieder fast gesund.“

Draußen regnet es, aber die Feuerwehr ist noch nicht ausgerückt. Der Fluss hat Hochwasser, ich verziehe mich für eine halbe Stunde in die Badewanne und werde in Ruhe gelassen. Kaum bin ich wieder präsent, bekomme ich von zwei Seiten was auf die Ohren. Und ganz nebenbei geschieht eine Menge unverblogbares…

Phänomen

Die Junioren sind ein Phänomen, sie können – besonders der Kerle – stundenlang über ein und dasselbe Thema reden und damit nerven ohne Ende! Er quatscht über Bahnlinien, darüber wo er hinfahren möchte, wo er schon mal war, mit welcher Bahn er reisen will, dass wir das unbedingt mal machen müssen, dass es sehr weit ist… Alles mit einer Ausdauer, die mir gehörig auf den Geist geht!

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