Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren

Exoten

Wenn ich mit beiden Junioren alleine ins Dorf gehe, und das machen wir regelmäßig, dann werden wir hin und wieder angeschaut, wie die Salemer Affen auf ihrem Berg. Dass die Leute denken, wir würden ihre Mützen klauen, würde mich auch nicht wundern. Die Einheimischen gucken sogar auffälliger, als die Auswärtigen. Heute in der Apotheke hätte eine urältere Dame beinahe Carsten übers Haar gestrichen, wenn Wiebke das nicht bemerkt hätte und laut protestierte. „Ich wollte doch bloß nett sein!“ Sahen beide Junioren ganz anders. Die Gummibärchen von der Apothekerin nahmen sie aber selbstverständlich gerne an. 

Zwischenstopp beim Optiker, der Kerle wollte Smalltalk und über Bayern München reden. Brillen richten lassen, denn die sind immer leicht verbogen. Im Blumenladen gab‘s für jeden ein Ministräußchen (für mich nicht) und beim Bäcker die obligatorische Laugenbrezel. Über aufgerissene Gehwege stolpern, die Rollstühle über Schotterberge hieven und so ganz nebenbei ein strahlendes Lächeln ins Gesicht zaubern, weil ein unerwarteter Anruf leider nicht entgegengenommen werden konnte.

Darf ich jetzt noch nen Kaffee trinken oder sollte ich mir lieber einen Entspannungstee machen? Den Junioren geht’s besser. So ein Spaziergang tut schon ein kleines Wunder. Erhöhte Temperatur haben sie aber immer noch…

Behinderung, Familie, Gedanken

Angst haben

Im Rahmen von Recherchen – weil ich endlich wissen möchte, welches Syndrom die Junioren haben – habe ich in den spärlichen Unterlagen die mir geblieben sind, eine Genanalyse für mich wieder gefunden. Warum ich den Befund verdrängt habe? Keine Ahnung. Vielleicht fand ich es nicht so wichtig.
Jetzt, da ich den kleinen Brief von der Humangenetik der Universität Leipzig vor mir liegen habe, ist mir einiges klarer. Ich kann mir meine Herzklopfen, mein Herzstolpern erklären. Herz-Rhythmus-Störung/Long-QT-Syndrom (Romano-Ward-Syndrom), bei emotionalen Belastungen sehr ausgeprägt und, für mich, angsteinflößend. Ich ärgere mich, dass ich damals den Brief achtlos zur Seite gelegt habe – stand ja nichts über ein passendes Syndrom für die Junioren drin.
Morgen früh steht ganz oben auf meiner Agenda, dass ich endlich den Kardiologen anrufe und einen Termin mache – ist sowieso längst überfällig – aber jetzt habe ich ein bisschen Muffensausen. Obwohl, ich bin doch schon so alt geworden…

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P. S.: Eine sehr nette Mitarbeiterin von Achse e.V. hat sich bei mir gemeldet. Es kommt etwas in Gang. Drückt bitte die Daumen!

21:44 Uhr – Warum der Beitrag Angst haben heißt? Carsten und Wiebke sind krank. Fieber, Husten, immer noch Bauchweh, wir schlafen alle nachts nicht richtig, der Kerle nimmt schon wieder ab und das Töchting ist extrem schlapp.

11:31 Uhr am nächsten Tag – beim Kardiologen habe ich am 31. Juli vormittags einen Termin bekommen. Himmel, die Berge!

Behinderung, Familie, Gedanken

von Versprechungen

Narzissen

Vorab – dies ist ein Kuddelmuddelgedankenchaos, sehr schnell dahingeschrieben. Quasi aus dem Bauch heraus.

„Ja, ich komme dich besuchen!“ Oder: „Das machen wir im Sommer, wenn das Wetter besser ist!“ Oder: „Jetzt haben wir uns ja einiges ausgesucht, müssen nur noch einen Termin finden!“ 

Könnt ihr euch vorstellen wie das ist, wenn nichts zustande kommt? Weder der am Telefon angekündigte Besuch, noch der Spaziergang zum Biergarten und schon gar nicht der Termin, der bis zum SanktNimmerleinsTag verschoben wird? Carsten ist traurig und Wiebke zieht sich noch mehr in ihr Zimmer zurück. Wenn dann noch dieser Spruch kommt: „Du musst doch nur Bescheid sagen, dann machen wir was gemeinsam!“, dann zieht sich in mir so vieles zusammen. Unverbindlichkeiten. „Mama, die xxx hat gesagt, dass sie mit uns in den Tierpark geht.“ „Und xyz wollte mit uns ins Kino!“ „Ach, die kommen doch sowieso nicht. Die reden nur!“ Könnt ihr euch vorstellen in welche Bedrängnis mich das bringt? Ich darf doch die Menschen nicht bloßstellen vor den Junioren. Aber darauf ansprechen kann ich sie auch nicht immer – das geht vielleicht einmal. Ich bekomme dann die Antwort, dass irgendwas dazwischen gekommen ist und deswegen das Treffen leider nicht geklappt hat. 

Carsten fragt mich immer wieder und Wiebke fragt mich auch immer wieder. Gerade heute Morgen: „Warum kommt xxx nicht? Sie hat es doch schon so lange versprochen.“ Mir tut es in der Seele weh, wenn ich sagen muss, dass sie nicht kommt! Aber nicht nur das, ich bekomme auch die schlechte Laune und den Frust ab: „Das ist gemein, versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen.“ Manchmal passiert eine Absage sehr kurzfristig. Die Junioren haben sich gefreut und Pläne gemacht … Oft ist es, dass der Kerle mich fragt, warum denn die Menschen, die er liebevoll einlädt, nicht kommen.  Dabei ist es gar nicht wichtig, dass die Menschen lange bei uns bleiben – kurz vorbeikommen, ein bisschen reden, nen Kaffee oder was anderes trinken, einen kleinen Spaziergang machen, uns vielleicht auf die Hunderunde mitnehmen – ins Alltagsleben integrieren. Nicht nur zugucken lassen – teilhaben lassen!