Allgemein, Behinderung, Junioren

lass mich schlafen

„Mama, mach die Tür wieder zu!“ Wie habe ich das vermisst, mein Töchting singt lieber alleine ihre morgendlichen Quatschlieder. Aufstehen will sie nicht. Wach ist sie schon lange. Der Kerle schläft noch. Wer will das wissen?  Niemand, ich auch nicht – denn ich täte gerne in Ruhe Kaffee trinken, die Zeitung lesen, bestimmt nichts über anderer Leute neues Auto hören etc. pp. 

Zwei Stunden später. Hab grad alle Termine für die laufende Woche abgesagt. Der Kerle hat kurz den Kopf gehoben: „Mama, der Urlaub war Bombe, aber jetzt brauche ich Erholung!“

Alltag, Behinderung, Familie, Gedanken, Junioren

morgens Wackersteine

Das erste Mal aufgewacht bin ich um kurz nach vier, mein Bauch brummelt und darin rumoren Wackersteine. Ein Ring von Angst liegt um meinem Körper, die Beine zappeln nur so viel, dass es unangenehm ist und nicht bedrohlich, die Füße sind bleischwer und rastlos. Mehr als das macht mir mein Magen zu schaffen – ich esse zu viel und das falsche. Zu viel Süßkram und zu wenig gesunde Mahlzeiten. Ein Teil meiner Bauchschmerzen kommt daher. Der größere Teil allerdings ist ein schwarzes Loch, das saugt und saugt und saugt, an den Rändern gärt, alles in sich verschlingt und nicht wieder rauslässt. Diese Ursuppe bekämpft sich gegenseitig und besteht zum größten Teil aus Angst. Manchmal kann ich es verquirlen, dann dreht sich der Strudel gleichmäßig und ich lasse mich einlullen. Gleichgewicht!

Das bleibt aber nicht so, ich muss aufstehen – auch wenn es zwanzig vor sechs noch nichts zu tun gibt. Die Angst vor dem Tag hält dich im Bett. Sie sagt dir, dass du da sowieso nicht schaffst. Nebenbei zwickt es am Oberschenkel und die Hautstelle auf der Schulter juckt verteufelt. Ich kratze sie mir blutig und kann doch nicht aus meiner Haut. Später schmiere ich kühlende Creme drauf.

Dass ich mit den Händen, von denen ich denke, dass sie keine Kraft haben das Handy zu halten, mit diesen Finger diesen Text tippe, so zittere, kann ich geschickt verbergen. Ein Außenstehender ahnt nichts, denkt nur; die ist noch nicht ganz wach.

Doch, wach bin ich inzwischen, hab auch schon einen Milchkaffee getrunken und sage mir jedesmal, dass das keine so gute Idee ist. Auf einen Magen der revoltiert, Kaffee kippen ist wie Öl ins Feuer gießen. Aber die Macht der Gewohnheit!

Juniorenherrschaften wecken. Aus einem Zimmer kommt Gebrumm, aus dem anderen wird mir ein Armband an den Kopf gepfeffert. „Ihr dürft doch noch 10 Minuten im Bett bleiben!“ Köpfe sinken auf Kissen. „Was wollt ihr zum vespern mitnehmen?“ Keine Antwort – pack ich eben irgendwas ein. Denke aber, dass das bestimmt nicht das richtige war und habe darüber ein schlechtes Gewissen.

Das Anziehen überspringen wir mal – ist eine eigene Geschichte. Klogang, Windeln wechseln, notdürftig waschen, Haare kämmen, rasieren, auf den Rollstuhl setzen.

Frühstücken tun wir ja schon lange nicht mehr. Jedenfalls wird nichts gegessen, nur getrunken und da darf/muss/will ich jeden Tropfen in die Münder reden. Und dann diskutieren beide mit mir warum was so nicht geht und weshalb das so gemacht werden muss, was aber nicht geht, weil ein bestimmtes Teil nicht da ist. Da wünsche ich mir entweder verstopfte Ohren, was aber die Folge hat, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich nicht zugehört habe. Oder ich wünsche mir vier Ohren und habe anschließend das Gefühl, mein Kopf platzt.

Über allem schwebt die Angst den behinderten Menschen nicht gerecht zu werden…

Junioren

verrückt

Ich habe gerade Gänsehaut gehabt – bei 28°C Raumtemperatur! Mir war kalt, ein eisiger Schauer ist mir über die Beine gekrochen. Schön langsam, vom Oberschenkel bis zum kleinen Zeh! Aus dem Kerlezimmer kam ein leises »plopp«, wie als ob etwas sukzessive fällt. Dann war es sekundenlang still und kurz darauf ein ohrenbetäubender Lärm. Schreie, weinen, kreischen, jammern! Alles gleichzeitig. Ich springe auf, stolpere über meine eigenen Füße, renne hastdunichtgesehen ins Zimmer im Eck. Dort liegt der Kerle wie ein Maikäfer zappelnd rücklings vorm Bett und hält in der rechten Hand einen Schokoladenkeks hoch. Das linke Bein hängt etwas schief und ich sehe mich schon ins Krankenhaus fahren. „Mama, nimm mir doch endlich den Keks ab und dann dreh mich um!“ Gesagt getan. Ich setze ihn aufs Bett zurück, der Kerle schüttelt sich, holt sich sein Tablet, verlangt noch was zu trinken und schickt mich raus.

Als ich ihm sagte, dass ich einen Mordsschreck bekommen hatte – wohl bemerkt, der Kerle hat Glasknochen  Typ 3 – meinte er: „Hab ich auch, aber jetzt ist alles wieder gut!“ Ist es auch, nichts gebrochen, nur ein blauer Fleck am Steiß.