Familie, Gedanken, Kuddelmuddel

schlaflos im wilden Dorf

Draußen fliegen die Nachtmaschine am Himmel, oder ist es die ISS die vorbeirauscht? Jedenfalls bewegt sich was am wolkenlosen Firmament. Wann Vollmond ist weiß ich nicht, es wird nicht mehr lange dauern, aber ich scher mich eh nen Teufel darum.

In meinem Kopf geistert viel zu viel, da ist die Außenwelt nur hinderlich. Allein bin ich mit mir – ich halte mich aus, habe auch keine Sehnsucht nach lebenden Menschen. Links neben mir ist sowieso kein Platz, da liegen Bücher, mein Lungenspray, wenn ich fertig bin mit tippen, die Brille und das ausgeschaltete Tablet. Der Mann, der früher an dieser Seite schlief ist längst Asche. Und schon wieder ist es da, das gnadenlose Vermissen. Natürlich täte ich ihn nicht wecken, aber spätestens am Morgen hätte ich das Gespräch gesucht und ihm meine Ängste geschildert.

Heute Nacht rede ich mit einem Toten und komme mir so dämlich vor. Die Telefonseelsorge ist nicht erreichbar – es gibt also noch mehr Menschen, die nicht schlafen können und ihre Sorgen teilen wollen. Ich wüsste auch gar nicht wo ich anfangen soll zu erzählen. Viel zu komplex kommt mir mein Leben vor. Ich ziehe scheinbar Sorgen und Nöte an. Am Nachmittag hat mir die Pastorenfreundin zum wiederholten Mal ihre Fußgeschichte erzählt; was sie mit den Ärzten erlebt hat und was für Therapien nicht wirken und warum sie beim MRT war und was sie den behandelnden Orthopäden erzählen wird, am Montag. Seit Monaten höre ich von ihr nur Fuß, Fuß und noch mal Fuß und wir spielen, wenn sie da ist MenschÄrgereDichNicht und wenn Carsten kotzt, wie heute geschehen, wartet sie, bis ich ihn umgezogen habe – und dann wollen beide unisono weiterspielen.

Ich hätte auch gerne gekotzt!

Die Freitagshelferin am Abend kam ja nicht, sie hat familiäre Sorgen und Probleme und wenn ich das jetzt erzähle ohne den Hintergrund, scheint das für mich nicht relevant zu sein. Stattdessen belastet es mich sehr, denn diese Frau ist mehr als eine Helferin. Ich dachte, sie wäre eine Wunschtochter für mich. Jetzt, da ich nicht nur Seelenmülleimer spielen will, wirft sie mir Unsensibilität vor und lässt mich … Nein, ich schreibe nicht weiter – das geht euch nichts an.

Fakt ist, dass ich im Bett sitze und vor lauter Grübeln und husten, nicht schnaufen können, mit Halsweh und kranksein und Gedanken machen und mich erinnern, dass das als Kind schon so war, nur dass es da noch keine ISS gab – Fakt ist, dass ich nicht schlafen kann. Ich fühle mich verantwortlich für alle, möchte, dass es meinen Menschen um mich herum, gut ergeht. Spätestens um halb acht ist Wiebke wach und dann ruft sie nach mir. Da sollte ich einigermaßen fit sein. Dabei rennt das Gedankenkarussell: Was habe ich falsch gemacht? Wem war ich jetzt wieder nicht gerecht? Habe ich in meiner Unwissenheit Dinge gesagt, die verletzt haben? Warum hat Carsten gekotzt? Er war so still, hat er möglicherweise Kummer, den ich übersehen habe? Nein, das hat er nicht – so denke ich, er erzählt mir inzwischen seine Sorgen.

Nur mir hört niemand zu. Auch das stimmt nicht – ich erzähle einfach nichts. Auch aus dem Grund, weil ich niemanden belasten will.

Sorry, entschuldigt mich – ich sollte auch hier nicht jammern! Resilienz ist ein Fremdwort.

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨ Hier gibt es die Möglichkeit etwas in den, wenn auch nur virtuellen Hut zu werfen. Herzlichen Dank!

9 Gedanken zu „schlaflos im wilden Dorf“

  1. mijonisreise sagt:

    Du wirst nie allen gerecht werden können, sollte man auch nicht. An erster Stelle soll und muss man sich selbst gerecht werden.
    Und ja, ich weiß wovon ich rede. Und nein, einfach ist das nicht. Setzt es doch voraus für sich klar zu sein, was man will und was nicht. Was man vertreten kann und was nicht. Was will man geben und was sich nehmen(!).
    Gute Besserung für dich

    1. piri ulbrich sagt:

      Ich will ja gar nicht allen gerecht werden – eigentlich – und uneigentlich versuche ich es immer und immer wieder!

      1. mijonisreise sagt:

        Wahrscheinlich weil du viel zu sehr darauf achtest, was die da draußen wollen und zu wenig darauf hörst, was innen deine Stimme dazu sagt.

  2. Paula sagt:

    Nachts sieht alles dramatischer aus als am Tag, das liegt an den Hormonen. Nicht umsonst sagt man „ich schlafe mal eine Nacht drüber“.
    Hausrezept bei beginnender Erkältung bei uns seit 20 Jahren: sofort einen Teelöffel Vitamin C Pulver (aus der Apotheke) und eine Zinktablette (Zink pos. aus der Apotheke) nehmen. Wenn man Glück hat, wird die Erkältung nicht so schlimm oder bricht gar nicht erst aus.
    Und bei Halsschmerzen: sofort einen Tee aus Salbeiblättern kochen und mit dem bitteren Zeug mehrmals am Tag gurgeln.
    Gute Besserung!

    1. piri ulbrich sagt:

      Salbeitee – ganz frischen – mache ich mir gleich noch einmal eine Kanne voll. Ansonsten habe ich gestern vom Lieblingsdoc Antibiotikum verschrieben bekommen. Alles wird gut – schlussendlich!

  3. Zaungast sagt:

    Irgendwo hast Du ja jetzt „gekotzt“ und das ist richtig. Du bist total überlastet mit allem und fühlst Dich allein(gelassen) mit dem ganzen Zuviel. Mensch hat Grenzen und er geht oft darüber, aber nicht ohne Folgen. Einer Spannung muß irgendwann eine Entspannung folgen, ein Ausgleich zum Erholen.
    Ein Ausheulen, wenn man es dann kann und nicht so selbstunterdrückt wird, erleichtern. So wie ein „Kotzen“ das kann. Es muß auch raus, was hineinkommt.
    Bei dem Wunsch es allen Recht zu machen ist auch der eigene Wunsch dabei „gut“ zu bleiben. Aber wir bestehen auch aus nicht so schönen Anteilen, haben Gefühle, die gegenüber anderen ungeduldig, ungerecht, verärgert sind etc.. Man ist nicht nur gut, auch wenn man es sein möchte. Das macht einen aber nicht schlecht. Was hab ich für unedle Gedanken auch in mir, die man keinem erzählen kann. Na und? Und manche Leute, die ich ansonsten lieb hab, sind für mich zeitweise auch A-Löcher, weil krasse Gefühle aufkommen. Wenn ich das zumindest vor mir selbst so nicht zugestehen darf, wann und vor wem dann? Es beruhigt sich in mir ja auch wieder, und dann kommt nach Chaos, wenn es sich innerlich abreagiert hat, auch wieder das Gute hervor und ich hab alle wieder lieb.

    Wir müssen auch nachsichtig sein mit unseren Anteilen, die man ungern an sich sieht und diese Teile zu dem anderen sehen. Und bei Belastung, grad bei sehr langer und ohne Ausgleich… da ermüdet so manche an sich liebe Seele.

    1. piri ulbrich sagt:

      Nein, nicht mit allen – mit der Aufgabe der Junioren gegenüber nicht!

      1. Zaungast sagt:

        Find jetzt den Bezug nicht, auf welches „(nicht mit) allen“ beziehst Dich bzw. wo hab ich das geschrieben/gemeint?

        1. piri ulbrich sagt:

          Dass ich überlastet bin! Ich gebe zu, ich habe mal wieder einen Schnellschuss abgegeben, ohne deinen Kommentar vollständig gelesen zu haben.

          Wenn ich meine eigene Meinung vertrete, dann habe ich das Gefühl, dass mir Egoismus angedacht wird und genau das will ich nicht. Denken tu ich natürlich, dass diese Menschen manchmal, wenn sie mich als Seelenmülleimer oder Zugequatschwerder missbrauchen, blöde bescheuerte saudumme A-löcher sind, die sich gefälligst andere aussuchen sollten – nicht gerade mich. Aber sie wissen alle, dass ich zuhöre …

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