Behinderung, Junioren, Kuddelmuddel

Bandauftritt | am Morgen danach

Oft bin ich dazwischen. Auch gestern wieder. Nicht dabei – es ist was anderes. Gestern war ich Mittler, war ausgleichendes Element und Gegensteuerer gegen den Pessimismus, gegen die Angst ohne den Bandleader – den Musiktherapeuten – zu versagen. Ausgerechnet ich! Ich, die doch als Bedenkenträgerin bekannt ist. 

R. ist krank, liegt mit 40-Fieber im Bett und die anderen Bandleute haben niemanden an den sie sich hangeln/festhalten können. Er spielt doch den Gitarrenpart, er ist der Hauptsänger, gibt den Ton vor und ist der Macher. 

Alles absagen? Nein, geht nicht. 

Diese Inklusionsband muss an höchster Stelle auftreten und ihre Professionalität beweisen. Die behinderten Musiker sind stark verunsichert. In der Künstlergarderobe verteile ich Kekse, mache Späße. Ich mache Späßchen. Ich, die so was gar nicht kann. Halte die Moral hoch, währenddessen M. übt und übt und übt. M. ist Vollblutmusikerin. Sie hat die Lieder schon mal gespielt. Doch eigentlich spielt sie in dieser Band Bass. 

Im Auto auf der Hinfahrt saß sie neben mir und büffelte Noten und Gitarrengriffe. Jetzt übt sie. Wir dürfen nicht stören. Dabei haben Carsten & Co so viele Fragen. Ich versuche den Druck rauszunehmen. Es gelingt mir. Nie hätte ich gedacht, dass mir das so eine Freude macht. 

Die Spannung ist greifbar. Das Programm wird umgeschmissen. Für Menschen mit kognitiven Einschränkungen  eine Mordsherausforderung. Sie sind aufgeregt. „Ich kann das nicht!“ „Ich habe das noch nie gemacht!“ … und dann dies alles im Neuen Schloss in Stuttgart, bei der Weihnachtsfeier des Sozialministeriums. Was für eine Leistung!

Soundcheck. Wow,  ein Klang! Profis machen die Steuerung. Der ganze Saal bebt und jeder wird gehört und keine Übersteuerung, kein Quietschen wie sonst. Richtig geiler Sound. Ein Klang, wie bei einer ‚echten‘ Band. Nein – sie sind eine echte Band, sind klasse und sie können alle was. Sie sind super und der große C. managt ganz easy die Misere und macht peu a peu ein Ganzes draus. Ohne, dass man die Anstrengung sieht. Ohne, dass die Bandmitglieder Panik kriegen – ohne den Bandleader, den Musiktherapeuten. Super. 

Die Gäste trudeln ein. Die Spannung ist greifbar. Alles wird gut! Wird es das? 

Sie gehen auf die Bühne. Singen mit dem Saal – o je, ich weiß nicht mehr welches Weihnachtslied – dann spielen sie We are the World und haben den Saal, das Publikum. Von da an ist es ein Selbstläufer. Ein Läufer mit Gehwagen und Rollstuhl, mit Stolperern und winzigen Pannen. Mein Carsten spielt Mundharmonika an Stellen, wo er noch nie gespielt hat. Wiebke gähnt während einer Rede im Hintergrund auf der Bühne, als ob sie die Rednerin fressen wollte. 

Die Band spielt sich in die Herzen des Ministeriums. 

Beim anschließenden Empfang sagt eine Frau zu mir und sagt es immer wieder: „Das war die schönste Weihnachtsfeier seit langem!“ Ich bin stolz. 

Die bunten Mützen sind wahnsinnig stolz und zu Recht – es war wunderbar. Platt und erschöpft – aber glücklich und stolz. 

Das muss erst mal jemand nachmachen.  Da bin ich gerne dazwischen. 

Veröffentlicht von piri

✨ In Momenten, in denen ich an mir und meiner Arbeit zweifle und meine, nichts Gutes auf die Reihe zu bekommen, denke ich manchmal daran, mir kurz das, was ich schon geschafft habe, anzuschauen. Dann geht's wieder. ✨ Hier gibt es die Möglichkeit etwas in den, wenn auch nur virtuellen Hut zu werfen. Herzlichen Dank!

12 Gedanken zu „Bandauftritt | am Morgen danach“

  1. Christel sagt:

    Super
    Toller Bericht
    Ich freue mich mit Dir und mit euch allen

    1. piri ulbrich sagt:

      Danke

  2. eva sagt:

    Wirklich großartig gemanagt, super!

    1. piri ulbrich sagt:

      Es war einfach klasse.

  3. Anja sagt:

    Da wäre ich gern dabei gewesen, es laufen Tränen…der Freude…der Rührung…der Anteilnahme, dass ihr so viel Spaß und Freude hattet. Ich knuddel euch einfach mal virtuell, vielleicht kannst du es fühlen…lieben Gruß Anja

    1. piri ulbrich sagt:

      Euer Besuch steht noch aus – vielleicht haben sie, wenn ihr kommt, einen Auftritt irgendwo! Es ist immer ein Erlebnis – nicht so besonders, wie gestern, aber immer schön!

  4. Gudrun sagt:

    Beim Lesen jetzt habe ich die Luft angehalten. Werden sie es schaffen? Sie haben es geschafft, auch durch deine Hilfe. Großartig.

  5. mijonisreise sagt:

    Das hat sich sehr gut gelesen

  6. Manuela sagt:

    Ich freue mich für euch und gratuliere, dass ihr diese Herausforderung so super gemeistert habt.
    Liebe Grüsse

  7. Momfilou sagt:

    Herzlichen Glückwunsch dir, Petra, deinen Kindern und den Bunten Mützen allen! Das ist super, wie du da geholfen hast . (überhaupt kein Kuddelmuddel im Kopf!) Warst klar und hast gezielt und psychologisch gehandelt – wenn ich ich das bloß könnte, wenn bei mir mal etwas daneben geht!
    Lieben Abendgruß von
    Gerel

  8. Dario schrittWeise sagt:

    Das hört sich toll an, herzlichen Glückwunsch

  9. ruediger sagt:

    Das beste Lob kommt aus dem Publikum. Prima.

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